Waldecker Spielzeugmuseum

SpielZeugen erzählen aus längst vergangener Zeit

Das „arme Luder"


Ohne Kleidung, mit zerschlissenen Ärmchen und Beinchen aus weißem Leder und einem beschädigten Gesicht, gezeichnet vom vielen Liebhaben. Das „arme Luder", weil nichts mehr „dran“ ist. Ihre bewegende Geschichte ist von einer alten Dame, die in ein Pflegeheim umziehen musste, überliefert.  Die Dame lebt nicht mehr. Aber „das arme Luder“ erzählt ihre kleine Geschichte, die von dem Wert einer einfachen Puppe zeugt, von Geschwisterliebe, Mut und von den Irrwegen des Krieges. 

Winter 1945. Eine Frau aus Breslau, deren Mann im Krieg gefallen war, flüchtete im bitterkalten Frühjahr mit ihrer achtjährigen Tochter und dem zwölfjährigen Sohn vor den Russen in Richtung Westen. Es war schlimm, das kleine Häuschen, welches ihr Mann gebaut hatte, im Stich lassen zu müssen. Die Nachbarn nahmen sie auf einem Pferdefuhrwerk mit auf dem Weg über das Kurische Haff. 
"Eines Morgens merkte meine Tochter, dass sie ihre Puppe, die sie von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte, verloren hatte. Sie war untröstlich und weinte bedauernswert.  Völlig unbemerkt von allen, machte ihr waghalsiger Bruder kehrt, um allein auf die Suche nach der verlorenen Puppe zu gehen.

Als ich sein Verschwinden endlich bemerkte, war ich entsetzt, dass er wegen einer Puppe, die 1,25 Reichsmark gekostet hatte, sein Leben aufs Spiel setzte. Ich wollte ihm folgen, aber mein Nachbar hielt mich zurück. Es vergingen vier schlimme Tage und Nächte in denen ich mich schrecklich sorgte. Dann passierten wir eine Allee und mussten anhalten, weil eine Militärkolonne an uns vorbeifahren wollte. Eines der Fahrzeuge stoppte neben unserem Fuhrwerk und mein Junge stieg wohlbehalten und vor Freude strahlend aus. Er hatte die Puppe in der Hand. Ich lachte und weinte gleichzeitig – nun waren wir wieder zusammen – mein großer Junge, mein kleines Mädchen mit seiner Puppe."
Nach einer langen Odyssee kam die Familie schließlich in Korbach unter. 1952 verstarb das Mädchen an einer Lungenentzündung, der Junge soll nach Amerika ausgewandert sein, ohne noch einmal von sich hören zu lassen.